Freitag, 12. Juni 1998

Als ich das nächste mal aufwache, liegt das daran, daß das Motorengeräusch abgenommen hat. Ich öffne die Jalousie einen Spalt und schaue hinaus. Am Horizont sieht man bereits Land. Schnell bin ich aus dem Bett, stelle rasch meine Videoausrüstung zusammen und haste zum Bug des Schiffes.

S_p009335.jpg (7756 Byte)Draußen geht gerade die Sonne auf, das Meer ist zwar vom starken Wind gekräuselt, aber vom Sturm letzte Nacht ist nichts mehr zu spüren. Diesmal möchte ich die Venedigdurchquerung hier vorne erleben.

S_p009333.jpg (10338 Byte)Die Kamera genau in Schiffsmitte aufgebaut, warte ich darauf, daß wir Venedig erreichen. Der starke und relativ kalte Wind bläst mir fast die Kamera um aber kein Wind der Welt wird mich hier vertreiben können, wenn wir im Sonnenaufgang durch die Lagunenstadt fahren. Allein dieses Erlebnis ist es wert, nicht ab Ancona, sondern ab Venedig nach Griechenland überzusetzen.

Nachdem wir bereits angelegt haben, das Wohnmobil ist bereits vom Stromnetz getrennt worden und reisefertig aufgeräumt, rennt ein griechisches Besatzungsmitglied über das Campingdeck und ruft, alle sollen zu Paßkontrolle kommen. Das kann jedoch nicht sein, denn diese Kontrolle wurde bereits in Patras am Hafen durchgeführt. Und doch sehe ich Menschen mit den Pässen in der Hand Richtung Rezeption gehen. Ich frage unseren Womo-Nachbarn und der bestätigt mir: wir müssen tatsächlich alle nochmals zur Paßkontolle. Obwohl ich das für einen schlechten Witz oder einen Schildbürgerstreich halte, nehme ich unsere Pässe und gehe Richtung Rezeption.

S_p009349.jpg (14634 Byte)Mittlerweile ist es 8 Uhr und eigentlich müßten wir das Schiff bereits verlassen haben. Als ich in den Treppenbereich des Schiffes erreiche, stehen hier alle Personen versammelt, die während der Überfahrt an Bord waren. Jeder ist verärgert und alle schimpfen zu recht über die italienische Bürokratie. Irgendwann kommt ein kleines, bläßliches, uniformiertes Männchen daher, setzt sich an einen Tisch, nimmt seine Schirmmütze ab, legt sie säuberlich in den geöffneten Aktenkoffer, dem er dafür einen Stempel entnimmt. Abgesehen von dem Stempel ist der Aktenkoffer leer.

S_p009350.jpg (13582 Byte)In aller Ruhe und vor Arroganz strotzend beginnt er, weiße Bordkarten zu stempeln, die ihm die Passagiere hinhalten. Die ganze Situation ist genauso witzig, wie sinnlos. Es könnte sich um eine Persiflage auf das italienische Staatswesen handeln, wenn es nicht Realität wäre. Das Männchen in seiner unendlichen Wichtigkeit stempelt alles, was ihm vorgehalten wird. Er schaut nicht nach den Pässen, er stempelt nur.

S_p009353.jpg (13919 Byte)Als ich endlich an der Reihe bin, hält mir ein Crewmitglied, das für das kleine Italienerchen den Verkehr regelt (und wahrscheinlich auch dafür zuständig ist, daß ihn niemand über Bord wirft) eine Bordkarte hin. Ich entgegne, ich bräuchte vier, da drückt er mir sieben Stück in die Hand. Das alles ist sowieso nur ein Witz, deswegen sage ich nichts, sondern halte, als ich dran bin, dem Männchen die sieben Bordkarten hin. Obwohl ich nur zwei Pässe in der Hand halte, stempelt mit diese italienische Amtsperson sieben Bordkarten. Ich bin begeistert. Besonders freut mich später, daß kein Mensch mehr diese gestempelten Bordkarten oder unsere Ausweise sehen will, als wir, eine Stunde später als erwartet, endlich von Bord sind. Wir verlassen unkontrolliert den Hafen. Gott bewahre Europa vor den italienischen Einwanderungsschutzmaßnahmen! Ich bin davon überzeugt, daß es sich bei der Stempelaktion entweder um eine Amtsanmaßung oder eine Provokation gehandelt haben muß.

S_p009392.jpg (10636 Byte)Für die restliche Heimfahrt haben wir noch drei Tage Zeit, deshalb lassen wir es gemütlich angehen und verlassen Venedig nicht über die Autobahn, sondern auf einer Nationalstraße Richtung Südtirol. Wir genießen die Fahrt durch die schöne Landschaft. Da der Brenner aufgrund einer Demonstration (doofe Touristen!) zur Zeit blockiert ist, wählen wir die Route über den Jaufenpaß und das Timmelsjoch. Als wir den Jaufenpaß erreichen, ist es bereits später Nachmittag. Wir beschießen, am Fuß des Passes zu übernachten und die Überquerung der Pässe erst am nächsten Tag anzugehen.