Freitag, 14. April 2000

Nach dem Frühstück gehen wir den Park und die Quellen besichtigen. Annemarie und die Kinder basteln kleine Flöße aus Rinde, die sie im Bach schwimmen lassen.

Flöße bauen …

… und dann schwimmen lassen

Die Quelle entspringt in einer kleinen Grotte. Türkis und unergründlich tief schimmert das Wasser. Dort wo das Wasser flach zu sein scheint, liegen vereinzelte Geldstücke auf dem Grund. In einem Reiseführer haben wir gelesen, dass man Kinder unbedingt vom Versuch abhalten soll, diese Geldstücke aus dem Wasser zu fischen, da die Quelle starke Strömungen hat. Es soll scheinbar schon einige Todesfälle gegeben haben, weil Kinder von der Strömung mitgerissen wurden.

Mittags macht Annemarie Pfannkuchen. Eigentlich haben sich die Kinder gestern schon Pfannkuchen gewünscht, aber da kam uns das Spanferkel dazwischen …

Richtig sommerlich warm ist es heute. Deshalb mache ich mich im T-Shirt mit dem Roller auf eine Tour in den Naturpark. Dort wo sonst nur Jeeps und Landrover fahren, quäle ich meinen Roller entlang. Langsam verstehe ich, warum ich heute morgen so viele Landrover mit Trekking-Schriftzug gesehen habe. Der Holperweg, auf dem ich unterwegs bin, führt in unerschlossene Gebirgslandschaften der Barbagia. Mir begegnen mehrere Jeeps mit Rafting- und Trekkingausstattungen auf dem Dach. Auch vereinzelte Wanderer mit Rucksack und Zelt auf dem Rücken sehe ich.

Meine größte Sorge gilt momentan den Reifen meines Rollers. Ein Reifenplatzer wäre eine Katastrophe. Wie sollte ich jemals wieder aus dieser Einöde herauskommen? Es passiert nichts und mein treuer Roller hat schon einige üble Pisten heil überstanden. Wir (mein Roller und ich – ich rede mit ihm, damit er mich nicht im Stick lässt) folgen einem Wegweiser zur Grotte Sa Oche Su Ventu. Ja, es gibt Wegweiser in der Einöde! Nach unendlich langer Rüttelei endet der Weg am Rand einer Felswand, die so aussieht, als könnte es hier Grotten oder Höhlen geben. Tatsächlich zeigt ein Schild an, dass sich die besagte Grotte an dieser Wand befinden muss.

Ziel erreicht!

Um es kurz zu machen: die Grotte erreicht man, wenn man über das Felsenmeer Richtung Felswand klettert.

Eine Geröllhalde aus riesigen Felsbrocken leitet den unerschrockenen Besucher zum Eingang der Höhle 

Ich betrete die Höhle mit Ehrfurcht. Ich liebe Grotten und Höhlen (vor allem unerschlossene, die man selbst erkundet) und wenn ich gewusst hätte, dass ich auf meinem Trip in die Wildnis eine Grotte finde, dann hätte ich eine Taschenlampe mitgenommen. Aber ich habe einen Fotoapparat mit Blitz dabei. Die Videokamera kann ich im Inneren der Höhle nicht gebrauchen, ich lasse sie beim Eingang stehen und begebe mich mit Hilfe des Fotoapparats in totaler Finsternis auf Erkundungstour. Annemarie dürfte mich dabei nicht beobachten, sie ist in dieser Hinsicht eine eher ängstliche Natur. Für mich stellt diese total unerschlossene Höhle, irgendwo in der sardischen Pampa, eine unbeschreibliche Herausforderung dar. Dass ich Trottel keine Taschenlampe dabei habe kann doch kein wirklicher Hinderungsgrund sein, jetzt ins Innere der Höhle vorzudringen. Und so taste ich mich mit der bereits mehrfach erprobten Weise vorwärts, die nur mit einem digitalen Fotoapparat funktioniert: In absoluter Dunkelheit mache ich ein Bild nach dem anderen um anhand des Fotos meine nächsten Schritte planen zu können. Nebenbei dokumentiere ich auf diese Weise auch noch meinen Ausflug in die Unterwelt. Ich erklimme irgendwo im Inneren der Höhle eine Kalkwand und erreiche ein Hochplateau, als meine Kamera erste Anzeichen macht, dass die Akkukapazität nachlässt. Für mich ist das ein Alarmsignal, denn ich brauche den Blitz auch noch für den Abstieg. Beim Motorroller habe ich Reservebatterien, aber hier in der Höhle helfen mir die wenig!

 
 

War ich bis jetzt alleine in der Höhle, so schickt mir der liebe Berggeist jetzt einen freundlichen Italiener mit Taschenlampe, der mir den Steilhang freundlicher Weise ausleuchtet, damit ich den Rückweg wieder finde. Ich möchte überhaupt nicht wissen, was er sich in dieser Situation denkt. Was würde mir durch den Kopf gehen, wenn mir in einer Höhle in absoluter Dunkelheit jemand in 10 Metern Höhe über dem Höhlenboden ohne Taschenlampe entgegengekrabbelt kommt?

Ich erreiche das Tageslicht relativ unversehrt wieder. Lediglich ein paar Schrammen habe ich mir zugezogen. Was ist das schon gegen das Abenteuer, das ich eben erlebt habe? Und gegen die schönen Fotos, die ich, ganz nebenbei, aus der Unterwelt mitbringen durfte? Mein Roller und ich machen uns auf den Rückweg.

Rückweg in die Zivilisation

Kurz bevor wir die Zivilisation wieder erreichen, streift mein Blick ein Loch links oben in der Böschung. Ich wende und schaue mir die Öffnung genauer an. Dass mir das beim Hinweg noch nicht aufgefallen ist! Ich stehe vor einem Höhleneingang, der zugemauert war, aber wieder aufgebrochen wurde.

Wahrscheinlich wurde diese Höhle aus Sicherheitsgründen zugemauert

Diese Herausforderung kann ich mir nicht entgehen lassen und so schlüpfe ich ein zweites Mal an diesem Tag in die Unterwelt der Barbagia. Mittlerweile hat die Kamera neue Batterien und so taste ich mich erneut mit Hilfe der Fotos in der Dunkelheit vorwärts. Auch diese Höhle verfügt über Tropfsteine, so weit ich erkennen kann, was mich aber erschauern lässt, ist zugleich wahrscheinlich der Grund dafür, dass die Höhle nach ihrer Entdeckung zugemauert wurde: sie fällt im Inneren ins Bodenlose. So weit ich anhand der Fotos erkennen kann, verläuft diese Höhle ca. 5 Meter nach dem Eingang vertikal, dass heißt sie hat keine Erkennbare Decke und keinen Boden. Der Blitz erreicht jedenfalls keine reflektierende Fläche mehr. Mit einer Gänsehaut taste ich mich vorsichtig zurück zum Tageslicht. Mein Bedarf an Abenteuer ist gedeckt. Mit einer starken Maglite-Taschenlampe und einem Seil würde ich jetzt nicht umkehren, aber so …

Einblicke in die Unterwelt: Ein tiefes Loch im Boden dieser Höhle führt wahrscheinlich direkt in die Hölle

Gerädert vom Ritt und den Exkursionen in das Innere der Berge komme ich zum Wohnmobil zurück. Die Familie ist ausgeflogen und so kann ich in aller Ruhe meine Wunden lecken und das Erlebte niederschreiben.

Am Abend, nachdem Annemarie und die Kinder von ihrem Planschnachmittag am Fluss zurück sind, die Kinder zu Abend gegessen haben und im Bett sind, füllen wir an der Quelle noch unseren Wassertank und machen uns dann erneut auf den Weg. Langsam geht es weiter Richtung Nordosten – zur Ostküste und Richtung Olbia, wo wir am Montagmorgen gerne unsere Freunde die Breidis und Heidrichs von der Fähre abholen möchten. Zwischen Dorgali und Orosei, auf dem Parkplatz der Grotta di Inspinigoli stellen wir unsere Ferienwohnung für die heutige Nacht auf und gehen zu Bett, jedoch nicht ohne den Wecker auf 6:30 Uhr gestellt zu haben. Für morgen habe ich eine ausgiebige Besichtigungstour in die Umgebung geplant.

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