Heute wird es wirklich Zeit sich zu verabschieden. Unsere Freunde möchten nach Alghero und Bosa weiter und diese Orte haben wir schon ausgiebig besucht. Außerdem habe ich den starken Wunsch, in diesem Urlaub noch einige Flüge zu machen. Man kommt in unseren Breiten nicht so oft zum Fliegen, als dass man so eine Möglichkeit auslassen könnte.
Abschied von unseren Freunden…
Und so wünschen wir den Breidis, den Heidrichs und den Grundhöfers einen schönen weiteren Urlaub und schauen etwas wehmütig zu, wie sie im Konvoi zu neuen Zielen aufbrechen, während wir uns plötzlich etwas einsam vorkommen.
… und weg sind sie!
Wir packen unsere restlichen Siebensachen zusammen und machen uns ebenfalls auf den Weg. In Sorso tanken wir am Automat für 20.000 Lire, weil die Tankstelle geschlossen hat und dann geht es quer durch Sassari erst auf die SS 131 und dann zur SS 597 Richtung Olbia. Die Strecke führt an der Kirche Abbazia Di Saccargia vorbei, die wir erst gestern besucht haben.
Dann plötzlich passiert es: In Höhe der Ortschaft Ploaghe, bei ca. 90 km/h ertönt ein lauter Knall, unser Wohnmobil neigt sich nach links und beginnt auszubrechen. Nur mit Mühe kann ich verhindern, dass sich das schwere Fahrzeug aufschaukelt, während ich gefühlvoll versuche, das Fahrzeug abzubremsen. Mir ist klar, was gerade passiert ist: Einen Hinterreifen hat es zerrissen. Die Reste zertrümmern gerade den Radlauf und den Fahrzeugboden, das kann ich dem Krach, der von rechts hinten kommt auch entnehmen. Wir haben großes Glück, denn ich behalte das Fahrzeug unter Kontrolle und schaffe es, es genau in einer Einmündung am Fahrbahnrand zum Stehen zu bringen. Mit weichen Knien steige ich aus, um den Schaden zu besichtigen. Der Radkasten, der Fahrzeugboden und das was von dem Rad übrig ist, sieht verheerend aus. Die gesamte Lauffläche hat sich gelöst und ziemlichen Schaden unter dem Fahrzeug angerichtet. Einige zerrissene Kabel hängen herunter und durch ein Loch im Fahrzeugboden kann man ins technische Innenleben des Wohnmobils schauen. Hier, in einem Bereich, der sonst nie zu sehen ist, laufen die ganzen elektrischen Versorgungsleitungen und Wasserleitungen.
Während ich zum Ort des Reifenplatzers laufe, um die Reifenteile einzusammeln, ruft Annemarie über das Handy die Breidis an und bittet sie um Hilfe. Helmut ist in der Lage, jedes Problem zu lösen und hat alles, was mach für eine derartige Reparatur braucht, in seinem Fundus, während ich, na ja sagen wir mal, eher zwei linke Hände habe. Außerdem bin ich im Augenblick nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Hauptproblem besteht momentan darin, dass erstens unser Wagenheber sehr filigran ist und ich ihm nicht zutraue, das Fahrzeug anzuheben und sicher zu halten, während ich mich unter dem Fahrzeug an die Arbeit mache und zweitens, das das Reserverad zu Hause in der Garage steht. Nachdem ich meine Gedanken einigermaßen sortiert habe, lade ich den Roller ab, um in der nahen Ortschaft Ploaghe nach einem Reifenhändler zu suchen. Ich finde ein Autoteilegeschäft, das aber noch geschlossen hat. Eine junge Frau erklärt mir, ich solle um 15:00 Uhr wieder kommen. Es ist 14:15 Uhr und ich kehre zurück zum Wohnmobil. Dort angekommen, sind auch die anderen schon eingetroffen und dabei den Schaden zu begutachten.
Helmut meint, der Schaden sehe schlimmer aus, als es ist und sie würden die Sache schon hinbekommen. Plötzlich sind viele hilfreiche Hände dabei das Fahrzeug aufzubocken, das Rad abzunehmen und die Leitungen zu flicken. Die elektrische Leitung zur Tauchpume und eine 220V-Verorgungsleitung sind zerrissen. Außerdem habe ich auf der Straße noch ein Kabel gefunden, das sich als Zuleitung zu einer der seitlichen Positionslampen herausstellt. Helmut, Uwe und Georg sind bestens ausgestattet: Hydraulische Wagenheber, Messgeräte, Schlüsselsätze, Drehmomentschlüssel – alles vorhanden.
Georg hat die Idee, mit welchem Material man den zerstörten Radlauf provisorisch reparieren könnte: Annemarie hat zwei Kunststofftaschen von Authentics im Keller stehen. Dieses stabile und doch leicht formbare Material ist ideal geeignet. Die Taschen werden geleert und Georg beginnt zu schnitzen. Zunächst kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, aber am Schluss ist tatsächlich der gesamte Fahrzeugboden abgedichtet.
Ich fahre nochmals nach Ploaghe und werde von der Inhaberin des Fahrzeugteilehandels zu einem Reifendienst gebracht, der die Reifengröße, die ich brauche, tatsächlich vorrätig hat. Die Felge sei in Ordnung, erklärt mir der Inhaber des Reifendienstes und er montiert mir in wenigen Minuten einen neuen Reifen, wuchtet ihn und kontrolliert ihn auf Dichtigkeit. 240.000 Lire bezahle ich, lade das Monstrum auf meinen Roller und mach mich auf den etwas beschwerlichen Rückweg zum Wohnmobil. Mit großem Hallo werde ich empfangen. Dass es tatsächlich so problemlos möglich ist, an einen neuen Reifen für unser WoMo zu kommen, hat niemand geglaubt. Mittlerweile sind die Künstler mit dem Ersatzradlauf fertig und haben ihn mit Sikaflex abgedichtet (ja, auch das hat Helmut an Bord).
Nachdem wir alles aufgeräumt haben, bedanken wir uns noch einmal ganz herzlich für die großartige Hilfe und wiederholen unsere Verabschiedung von heute Morgen. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder – aber unter anderen Umständen.
Die drei Wohnmobile machen sich erneut auf den Weg und auch wir können unsere Fahrt nach Olbia fortsetzen. Die heutige Fähre der Linea Dei Golfi nach Livorno legt um 19:00 Uhr ab. Da uns klar war, dass wir dieses Schiff nach der Panne nicht mehr erreichen werden, hat Annemarie im Laufe des Nachmittags in Olbia angerufen und die Auskunft erhalten, es gäbe noch ein Schiff morgen früh nach Piombino und danach das restliche Osterwochenende keine Möglichkeit mehr, auf das Festland zu gelangen.
Es ist 18 Uhr, und wir sind ca. 70 Kilometer von Olbia entfernt. Eigentlich könnte es bis 19 Uhr doch noch klappen. Während ich fahre, telefoniert Annemarie mit dem Fährbüro und macht ihnen klar, dass wir bereits auf dem Weg seien und auf jeden Fall vor 19 Uhr einträfen. "No Problem" erhält sie zur Antwort.
Tatsächlich fahre ich um 18:57 an Bord der Fähre, während Annemarie im Laufschritt ins Fährbüro rennt, um das Ticket zu bezahlen. Unmittelbar nachdem sie an Bord ist, wird die Luke geschlossen und das Schiff legt ab.
Wir haben es geschafft!
Etwas wehmütig sitze ich in der Hecksitzgruppe und schaue zu, wie Sardinien im Licht der untergehenden Sonne verschwindet. Immerhin drei Wochen waren wir auf dieser schönen Insel, haben sehr viel gesehen und erlebt. Immerhin 14 einstündige Videokassetten Rohfilm für meine erste Dokumentation über Sardinien habe ich im Gepäck. Außerdem einige hundert Bilder.
Wehmut erfüllt mich bei diesem Anblick
Es war zwar nicht immer schönes Wetter, aber das hatten wir auch nicht erwartet. Wir haben einen kleinen Kontinent im Mittelmeer erleben dürfen und unseren persönlichen Horizont erheblich erweitert. Gerade mir begeistertem Griechenlandfahrer hat diese Reise gezeigt, dass es auch noch andere schöne und wohnmobilgeeignete Ziele gibt. Wir werden bestimmt nochmals wiederkommen – vielleicht noch dieses Jahr, denn im September soll es auch sehr schön auf der Insel sein. Das Wasser ist warm und der Haupttourismus ist bereits weg. Mal sehen, was die Ertls von dieser Idee halten, denn wir planen bereits seit einiger Zeit, eventuell den Urlaub gemeinsam zu verbringen.
Bis in die tiefe Nacht sitze ich am Notebook und schreibe die Erlebnisse der letzten Tage nieder. Jetzt muss ich ins Bett, denn wenn ich an Sardinien und an unsere Freunde denke, die jetzt noch dort sind, werde ich sentimental.
Vorhin piepste das Handy: Eine SMS-Nachricht ist eingegangen.
"Wir stehen auf der Klippe, 20 Meter über dem Meer in Porto Ferro – traumhaft. Gruß von allen, gute Reise – die Breidis"
Schön, wenn man solche Freunde hat.
Nachtrag: Mittlerweile habe ich begonnen, den Schaden am Wohnmobil zu reparieren. Für alle, die es interessiert, oder die selbst so einen Schaden instand zu setzen haben, habe ich die Arbeitsschritte mit Fotos dokumentiert.
Eine Antwort auf „Freitag, 21. April 2000“