In der Nacht um 4 Uhr wache ich auf, weil neben uns etwas los ist. Eine Frau (oder ist es ein Mädchen?) schreit, darauf folgt ein Stimmengewirr und dann klappert Aluminium. Ich schaue aus dem Alkovenfenster, kann aber nicht viel erkennen. Annemarie ist ebenfalls wach geworden und meint, es sei bestimmt etwas passiert. Mit Jessica als Alibi an der Leine, geht Annemarie nachsehen. Durch mein kleines Fenster kann ich nur erkennen, dass das Wohnmobil neben uns zusammengeräumt wird. Als Annemarie zurückkommt, teilt sie mir mit, dass die Familie neben uns gerade erfahren hat, dass der zu Hause gebliebene Sohn gestorben sei. Die Frau ist dem Nervenzusammenbruch nahe und die Familie bricht sofort nach Hause, nach Mailand, auf…
Am morgen ist der Himmel etwas bedeckt. Viele Wohnmobile auf dem Sosta Camper packen zusammen, um weiter zu fahren. Auch wir wollen heute weiter. Allerdings haben wir die Weiterfahrt erst für Abend geplant. Wenn das Wetter aber heute eher bedeckt ist, dann könnten wir auch früher aufbrechen und so fangen wir gemütlich an, unsere Sachen zusammen zu packen. Zwischendurch springe ich mit der kleinen Bande ins Meer. Das tut den Kleinen gut, weil sie vor der Abfahrt nochmals baden können und ich kann den Schweiß abwaschen, denn inzwischen haben die Wolken sich verzogen und es ist wieder gehörig heiß geworden. Obwohl das einräumen keine schwere Arbeit ist, läuft mir trotzdem das Wasser in Strömen herunter.
Als wir fertig sind, duschen Annemarie und ich nochmals und dann fahren wir zum ver- und entsorgen, was auf einem separaten Grundstück neben dem Sosta Camper erfolgen muss. Schließlich sind wir fertig. Der Frischwassertank ist voll, das Abwasser und die Toilette ist leer und unser Wohnmobil ist wieder auf dem Weg nach Süden. An einer Tankstelle halten wir an, denn es ist mal wieder Zeit, den Luftdruck der Reifen zu prüfen. Annemarie hatte den Eindruck, der rechte Vorderreichen sehe platt aus. Der hat aber genügend Druck. Als ich allerdings meine rechten Hinterreifen betrachte, setzt mein Herz für zwei Schläge aus. Auch der Flanke des rechten hinteren Reifens ragt ein Nagel.
Wenn man an ihm wackelt, entweicht Luft. Sch…e! Ein Italiener, der nach uns auch seinen Reifendruck prüfen will und unsere Problem erkennt, erklärt uns, dass es in Salve, nicht weit von hier, einen Gommista (Reifendienst) gibt. Das Problem ist nur, es ist mittlerweile knapp 13 Uhr und da ist überall in Italien Mezzogiorno (Mittagsruhe). Wir pumpen noch etwas Luft in der Reifen, dessen Druck bereits auf 3,5 bar gesunken ist und fahren langsam Richtung Salve. Es ist jedoch, wie vermutet, zu spät. Erst um 16 Uhr macht der Gommista wieder auf. Die Zeit hier zu vergeuden, wäre zu schade, deshalb mache ich den Vorschlag, die wenigen Kilometer nach Marina di Leuca [23] zu fahren, wo es bestimmt auch einen Gommsita gibt und wo man die Wartezeit bis 16 Ur angenehmer verbringen kann – zum Beispiel mit dem Versuch, durch die Höhle ins Meer zu gelangen. Gestern habe ich ja bereits die erforderlichen Erkundungen durchgeführt. Mein Vorschlag wird angenommen und so fahren wir als 50km/h langsames Verkehrshindernis (mehr währe ohnehin nicht erlaubt, aber was interessiert das einen Italiener?) zu dem Platz bei der Teufelsgrotte, auf dem gestern bereits mehrere Wohnmobile standen. Bevor ich mit den Kindern jedoch die Abenteuertour durch die Grotte ins Meer unternehme, gibt es belegte Brote zu Mittag. Das ist wichtig, sonst droht wieder Unterzucker, der sich bei unseren Kindern in extremen Schreikonzerten auswirken kann.
Ein Bild für die Oma. Im Hintergrund das Capo Santa Maria di Leuca, die südlichste Spitze des Stiefelabsatzes.
Dann ist es so weit. Die Expedition beginnt. Nur mit einem Handtuch und Badeschlappen bewaffnet machen wir uns auf den Weg in die Teufelsgrotte. Badeschlappen sind für so eine Expedition normalerweise nicht die adäquate Fußbekleidung, aber wir müssen alles in der Grotte zurücklassen, wenn wir unten ins Meer möchten. Wenn an durch die Grotte absteigt, muss man aufpassen, denn zuerst gibt es ein sehr steiles Gefällestück, wo man ausrutschen kann. Unten muss man über große, bemooste und glitschige Steinblöcke steigen, um zum Ausgang der Grotte auf Meeresniveau zu kommen. Hier deponieren wir die Handtücher und klettern über mehrere Felsblöcke, bis wir am Wasser sind. Jetzt können wir auf einem schmalen Grat, der vom Meer wenige Zentimeter überspült ist, am Felsen entlang um einen Felsvorsprung herum klettern, bis der Grat endet. Ab hier muss man schwimmen, wenn man in die traumhaft schöne Bucht möchte, die ich gestern bereits von oben fotografiert hatte. Was wir nicht wissen, ist, dass Annemarie (Mama) und von oben beobachtet und fotografiert.
Das Ende des Grates. Ab hier müssen wir schwimmen. Fabian reitet auf meinem Rücken, denn so große Strecken schafft er noch nicht ohne Hilfe.
Sarah wartet, bis ich zurück komme, schwimmt aber alleine. ich muss nur aufpassen, dass die Kräfte reichen.
Hier kann man wieder laufen. Allerdings muss man bei jedem Schritt aufpassen, denn hier gibt es sehr viele Seeigel.
Unsere Badeschlappen mussten wir am Grottenausgang zurück lassen. Mit ihnen kann man nicht schwimmen.
Wieder ein Stück weiter. Man muss höllisch aufpassen, wegen der Seeigel!
Ziel erreicht! Wo normalerweise nur Boote und todesmutige Klippenspringer hinkommen, bin ich mit meinen beiden Bambinis zum baden.
Wir schwimmen im kristallklaren und unendlich tiefen Wasser der Traumbucht, die ich gestern nur sehnsüchtig von oben bewundern durfte.
Alles klappt so gut, bis ich auf dem Rückweg, mit Fabian auf dem Rücken, beim Schwimmen mit dem Fuß gegen einen Felsen trete und dabei einen Seeigel in meinen Fußballen ramme. Unter starken Schmerzen bringe ich meine Kinder zurück zum Wohnmobil, wo Annemarie ihre Familie schon freudestrahlend erwartet. Was mir passiert ist, hat sie natürlich von oben nicht mitbekommen.
Jetzt heißt es Zähne zusammenbeißen. Annemarie popelt ein paar der Stachel in meinem Fuß heraus, aber unsere Pinzette taugt nichts. Ein (natürlich italienischer) Zahnarzt aus dem Wohnmobil neben uns, den Annemarie nach einer besseren Pinzette fragt, bietet seine Hilfe an und beginnt ebenfalls an meinem Fuß herum zu zupfen. Ich beiße in ein Handtuch und zerbeiße es dabei.
Aber auch er muss aufgeben, weil seine Pinzette die Stachel nicht greifen kann und er mich vergeblich quält. Annemarie desinfiziert den Fuß und verbindet ihn. Dann fahren wir weiter. Jetzt ist erst einmal der Nagel im Fuß unseres Wohnmobils an der Reihe. Auf der Fahrt nach Gagliano del Capo, der nächsten größeren Stadt, wo wir einen Gommista vermuten, vermeide ich überflüssige Schaltvorgänge, weil das Treten der Kupplung ziemlich schmerzhaft ist. Wir finden den Gommista direkt am Ortseingang. Während unser Reifen geflickt wird, entdeckt Annemarie ein Hundewelpen in einem Zwinger auf dem Grundstück des Reifendienstes.
In dem Reifen stecken übrigens zwei Nägel. Der andere scheint sich schon länger in der Lauffläche des Reifens zu befinden. 20 Euro kostet uns die Reparatur, die nur etwa eine halbe Stunde gedauert hat. Jetzt sind die Stachel in meinem Fuß dran. Direkt in der Nähe befindet sich ein Hospital. Dorthin fahren wir als Nächstes, um den Notdienst zu konsultieren. Hier ist man derartige Verletzungen offensichtlich gewohnt, denn die Rettungssanitäterin macht sich sofort daran, die Stachel mit einer Spritze und Kochsalzlösung heraus zu spülen.
Dabei geht sie aber so grob vor, dass ich froh bin, als sie unterbrochen wird, weil draußen ein echter Notfall wartet und wir vorübergehend hinaus geschickt werden. Wir nutzen die Gelegenheit zur Flucht. Unser Plan sieht nun vor, einen Platz zu suchen, wo wir zwei Tage bleiben können, um ausgestattet mit dem richtigen Werkzeug aus einer Apotheke, die Stachel selbst zu entfernen und den Fuß auszuheilen.
Das mit dem Platz erweist sich aber als nicht so einfach. Die Küste ist bis Otranto sehr felsig und zum Meer steil abfallend, sodass sich für Wohnmobile kaum Stellplätze anbieten. Die Landschaft ist aber atemberaubend schön. Ich hoffe, dass ich nochmals Gelegenheit habe, mit dem Motorroller zurückzukehren um ein paar Fotos für meine Leser einzufangen. In Santa Cesarea Terme [24] finden wir eine Stelle, wo mehrere Wohnmobile auf einem Felsen oberhalb des Meeres stehen. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass es hier traumhaft schön ist, bleibt uns ohnehin nichts anderes übrig als hier zu bleiben.
Nach der obligatorischen Klettertour mit den Kindern, denen es eigentlich völlig egal ist, ob Papa noch laufen kann, oder nicht – Hauptsache er kommt mit, lade ich den Roller ab, um in der Abenddämmerung nach Castro zurück zu fahren, Medikamente und etwas fürs Abendessen einkaufen. Am Abend verlassen wir unseren exponierten Platz an der Felskante jedoch, um uns in tiefere Regionen im Hafen zurück zu ziehen. Direkt neben den Felsen befindet sich nämlich eine Disco und die anderen Wohnmobile verschwinden ebenfalls nach und nach, wahrscheinlich wohl wissend, was hier in der Nacht los ist.
In der Apotheke habe ich Zugsalbe bekommen. Annemarie schmiert den Fuß dick damit ein und verbindet ihn, bevor wir ins Bett gehen.