Der Campingplatz am heutigen Morgen
Die Tatsache, dass der Campingplatz auf zwei Seiten von Hauptverkehrsstraßen umgeben ist, sorgt für einigen Verkehrslärm. Und so kann sich unser kleines Hundemädchen bereits um 6:00 Uhr morgens über einen ausgedehnten Spaziergang mit seinem Herrchen freuen. Der Himmel ist immer noch grau. In der Nacht hat es wohl nochmals geregnet, denn die Strassen sind nass. Wir machen einen ausgedehnten Spaziergang auf die Bogenbrücke über die Weichsel. Eigentlich möchte ich gerne ein schönes Foto vom Fluss und der Stadt am anderen Ufer machen, doch es hängt eine Milchsuppe in der Luft, die das Ostufer nur schemenhaft erkennen lässt. So begeben wir uns zurück zum Wohnmobil, wo mich die bestehende Internetverbindung die Zeit bis zum Erwachen der restlichen Familie leicht überbrücken lässt.
Eine dicke Suppe hängt in der Luft
Als von der restlichen Familie um 7:30 Uhr noch immer kein Anzeichen von Aufwachen zu bemerken ist, beschließe ich, den Cache zu suchen, der mir bereits gestern auf meinem GPS-Gerät entdeckt habe. Ca. 25 Kilometer von hier in Ciechocinek bei Position N52 53.131 E18 47.243 soll er sich befinden. Gut, dass ich gestern Abend den Roller noch nicht aufgeladen habe. Ich suche die notwendigen Utensilien zusammen, ziehe mir eine Jacke über, denn heute Morgen ist es frisch, und mache mich auf den Weg.
Um 8:00 Uhr erreiche ich die Ortschaft, die ein Kurgebiet zu sein scheint. Ich finde auch die in der Cachebeschreibung erwähnte Markierung am Baum, aber mehr nicht. Ich suche eine halbe Stunde, dann gebe ich auf. Zu viel Zeit möchte ich hier auch nicht verschwenden. Außerdem ist mir kalt. Das Gras ist nass und meine Sandalen haben sich inzwischen mit Wasser voll gesaugt. Allerdings fahre ich nicht zurück, ohne mir die merkwürdigen Bauwerke anzuschauen, die hier in der Nähe des Weichselufers zu sehen sind. Es handelt sich um mehrere gigantische Holzwände auf Stelzen, die jeweils etwa 600 Meter lang und schätzungsweise 15 Meter hoch sind.
Für Inhalation gebaut?
Es gibt mehrere Hinweistafeln, die womöglich den Zweck dieser Bauwerke beschreiben, aber leider nur in polnischer Sprache. In der Cachebeschreibung stand etwas von Inhalation. Vielleicht kann man sich in diese Bauwerke hineinsetzen und irgendwie angereicherte Luft einatmen? Ich werde es wahrscheinlich nicht erfahren, denn mich zieht es zurück zum Wohnmobil. Es ist jetzt fast 9:00 Uhr und die Familie fragt sich inzwischen bestimmt, wo ich geblieben bin. Ich fahre also zurück zum Campingplatz. Außer Spesen nichts gewesen, aber das ist wohl des Geocachers Los.
Beim Wohnmobil werde ich schon beim Frühstück erwartet. Danach räumen wir zusammen, ver- und entsorgen das Wohnmobil und brechen danach Richtung Osten auf. Unterwegs schiebt sich wieder ein Geocache-Symbol in den Anzeigebereich des GPS-Gerätes. Und da ein echter Geocacher nicht ohne schlechtes Gewissen an einer ungeöffneten Schatzkiste vorüber fahren kann, ändere ich kurzentschlossen unser augenblickliches Etappenziel auf die Koordinaten des Caches ab. Per GPS werde ich auf eine wunderschöne, schnurgerade Straße durch den Wald gelotst – nur um dann nach einigen Kilometern die Anweisung zu bekommen, auf einen winzigen Waldweg ab zu biegen. Als ich dieser Anweisung nicht folge und das Gerät erfolglos noch mehrere Versuche unternimmt, mich mit unserem Riesenschiff auf kleine Waldwege zu schicken, fordert das Teil mich zum Wenden auf. Ich könnte es…
Also gut: zurück zur Hauptstraße. Einige Kilometer weiter fordert mich das Gerät wieder zum Abbiegen auf. Die neue Straße scheint jetzt auf direktem Weg zum Cache zu führen und sieht auch nicht ganz so schlecht aus. 10 Kilometer sollen es noch bis zum Ziel sein. Aber die Straße wird schlechter und schlechter. Als wir etwa die Hälfte der Strecke hinter uns haben, besteht das, was von der Straße übrig ist, nur noch aus Kratern.
Die Schlaglochpiste
Die Bezeichnung „Schlaglöcher“ wäre eine Beschönigung dessen, was Wind und Wetter seit 1945 von dieser ehemaligen Straße übrig gelassen haben. Das Wohnmobil ächzt in allen Fugen, während ich im Schweiße meines Angesichts im Slalom um die tiefsten Löcher herum zirkle. Irgendwann ist der Rest Asphalt weg und wir fahren auf einer reinen Sandpiste. Immerhin hat diese jetzt den Vorteil, dass sie nur wellig ist und keine Löcher mehr aufweist. Als wir die Cache-Koordinaten erreichen, eine Ruine (Ruiny Radziki Duze), die sich auf einem Schrottplatz im Nirgendwo bei N53 09.968 E19 16.739 befindet, finden wir – wieder einmal nichts. Der dritte polnische Geocache und wieder eine Fehlanzeige. Und dass nach dieser Holperstrecke! Geocacher müssen in Polen gewisse Nehmerqualitäten aufweisen.
Ruiny Radziki Duze
Gott sei Dank ist die weiterführende Strecke nicht so schlecht. Unser Navigationsgerät gibt sich redliche Mühe, die Scharte von vorhin aus zu wetzen und weist uns nur noch einigermaßen fahrbare Straßen aus. Aufgrund der fortgeschrittenen Stunde halten wir jetzt Ausschau nach einem Restaurant an der Strecke. Bei N53 15.514 E19 44.544 kommen wir an einem Badesee mit einem kleinen Campingplatz vorbei.
Ein hübscher kleiner Campingplatz
Es sieht so aus, als gäbe es hier auch ein Restaurant, also halten wir an. „Restaurant“ ist übertrieben – es handelt sich eher um eine Imbissbude und die Pizzen, die wir vorgesetzt bekommen, schmecken eher wie Kuchen. Trotzdem: der Hunger treibt sie hinunter.
Sarah muss sich mit ihrer Pizza sehr quälen
Auf der Weiterfahrt kommen wir wieder durch lang gestreckte Wälder. Die Luft ist feucht und schwül – eigentlich ideales Pilzwetter. Als wir einen alten Mann schwer beladen mit Pilzkörben aus dem Wald kommen sehen, hält uns nichts mehr: Wir suchen uns einen Waldweg, auf dem wir parken können und machen uns auf die Pilzsuche. Dass heißt, Annemarie und ich stapfen mit Birkenstock-Sandalen (!) im Wald herum. Die Kinder sind heute nicht von den Nintendos weg zu bekommen.
Ich bin recht erfolgreich bei der Suche und komme mehrfach mit einigen Maronenpilzen zum Wohnmobil zurück. Annemaries anfängliche Begeisterung fürs Pilzesuchen ist einer völligen Ablehnung gewichen, als wir die Pilze putzen müssen. Sie beschwert sich über die Maden und die schleimige Pilzhaut und erzählt mir von Fernsehsendungen, in welchen es um Pilzvergiftungen ging. Ich lasse mich nicht beirren. Die meisten der gefundenen Pilze sind Madenfrei. Die Haut und den Schwamm schneide ich ab und am Ende habe ich eine schöne Portion leckerer, geputzter Pilze in der Schüssel. Das gibt heute Abend ein leckeres Sößchen!
Weiter geht die Fahrt. Wir haben uns ein, von Helmut und Angelika beschriebenes Badeplätzchen am Rande der Ortschaft Dabrowno (036 im Buch) bei N53 25.641 E20 02.182 als Ziel vorgenommen. Inzwischen haben sich Wetter und Landschaft vollständig geändert. Die Sonne scheint vom makellos blauen Himmel und die Landschaft ist lieblicher geworden. Die Vermutung, dass wir das Randgebiet der Masuren erreicht haben, bestätigt sich beim Blick in Klaus' Polenkarte. Die Straße ist gut und fast nicht befahren. Trotzdem sind wir nur noch mit max. 50 km/h unterwegs, weil sich hinter jeder Kurve etwas neues Schönes zu sehen ergibt. Links und rechts der Straße blinken Seen auf. Wunderschöne Häuser mit Seegrundstücken lassen uns aus dem Staunen kaum heraus kommen. Dieses Stück Polen ist wirklich sehenswert. Wer noch nicht hier gewesen ist, wird das wahrscheinlich kaum verstehen. Und das ist erst der Anfang der Masuren…
Wir erreichen die Ortschaft Dabrowno gegen 17:00 Uhr. Bereits von der Straße aus erkennen wir, dass das Badeplätzchen einen Aufenthalt wert ist. Also begeben wir uns erst auf eine Einkaufstour in die Ortschaft, bevor wir uns die steile Abfahrt zum Strand hinunter wagen. Wie wir dort wieder hinauf kommen sollen, darüber möchte ich mir den Kopf jetzt noch gar nicht zerbrechen.
Frisches Geld fassen
Wir finden ein schönes Plätzchen auf der Wiese nahe des Wassers. Helmut hat recht mit seiner Beschreibung, dass dies ein Plätzchen zum Seele baumeln lassen ist. Wir packen den kleinen Tisch und ein paar Stühle aus. Ich genehmige mir ein Ankunft-Bierchen. Nach der heutigen Kurverei habe ich mir das mal wieder verdient.
Unser neuer Platz
Zum Abendessen gibts Kartoffeln, gebratenes Fleisch und leckere Pilzsoße, die ich alleine essen darf. Mama hat mit ihren Horrorgeschichten über von Pilzvergiftung dahin geraffte Familien den Kindern den Appetit verdorben. Immerhin will sie beobachten, ob ich morgen noch lebe und danach entscheiden, ob sie beim nächsten Mal auch Pilze isst. Mir macht das nichts. Ich weiß, dass es ausgezeichnete Speisepilze waren, die ich heute gefunden und eigenhändig sehr sorgfältig geputzt habe. Mir schmeckt es. Das sind bestimmt nicht die letzten Pilze in diesem Urlaub.
Eine Schwanfamilie lässt sich von uns mit Brot füttern
Während wir noch beim Essen sitzen, kommt eine große Schar Kinder und Jugendlicher im Alter zwischen 10 und 15 Jahren auf den Platz. Sie haben Holz dabei und entzünden, nicht weit von uns, ein Lagerfeuer. Als es dunkel wird und die Kinder ihre Würstchen am Stock gebraten und gegessen haben, umringen sie Sarah und Fabian, die am Strand sitzen. Die polnischen Kinder wollen wissen, wie unsere beiden heißen, wie alt sie sind und wo sie herkommen. Ehe wir uns versehen, ist die ganze Bande, zumindest die jüngeren von ihnen, bei uns vorm Wohnmobil. Wir bekommen unzählige Hände hingehalten, die wir zur Begrüßung schütteln müssen. Aus den kläglichen Englischbrocken der Kinder können wir heraushören, dass die Kinder aus Warschau kommen und hier im Ferienlager sind. Sarah wird von Jungs bestürmt, die ihr erklären, dass sie verliebt seien. Wahrscheinlich liegt dies aber eher daran, dass „I love you“ die einzigen Brocken Englisch sind, welche die Kinder beherrschen.
Fabian versucht sich mit dem ponischen Wörterbuch für die Konversation vorzubereiten
Als die Erzieher zum Gehen rufen, verabschiedet sich die ganze Meute artig ohne Murren von uns. So schnell wie sie gekommen war, ist die Meute auch wieder weg. Inzwischen ist es spät geworden. Kurze Zeit später sind wir auch im Bett.
Auch hier gibt es schöne Sonnenuntergänge