Nuraghen

Den Begriff Nuraghe las ich zum ersten Mal, als ich begann, mich auf die Reise nach Sardinien vorzubereiten. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir der Begriff fremd. Was ein Nuraghe tatsächlich ist, lernte ich von einer Fremdenführerin in Barumini, die mich durch die nuraghische Siedlung Su Nuraxi leitete und mir geduldig alles erklärte.

Su Nuraxi

Der Begriff Nuraghe stammt von seiner Bauform und ist vom sardischen Wort nurra abgeleitet, was sowohl Haufen, als auch Höhle bedeutet. Der wissenschaftliche Begriff Nuraghe beschreibt heute allgemein eine spitzkegelige Gebäudeform auf Sardinien.

Man spricht auf Sardinien vom nuraghischen Zeitalter, wenn man die Bronze- und Eisenzeit, etwa 1.600 bis 535 vor Chr. meint. In dieser Zeitspanne entstanden die Nuraghen, aber auch typische Siedlungsformen auf der Insel. Ungefähr 7.000 dieser Bauwerke sind heute noch mehr oder weniger gut erhalten.

Wie gut die Nuraghen heute noch erhalten sind, hängt vom verwendeten Gestein ab. Der Nuraghe Genna Maria bei Villanovaforru zum Beispiel wurde aus Sandstein gebaut. Von ihm sind heute nur noch klägliche Reste erhalten.

Der Nuraghe Su Nuraxi dagegen wurde aus vulkanischem Gestein erbaut. Seine Bauliche Substanz ist auch heute noch erstaunlich gut erhalten. Der Hauptturm ist immerhin ca. 3.600 Jahre alt.

Unterer Bereich des ca. 3.600 Jahre alten Hauptturms von Su Nuraxi

Die Entstehungsphasen der Nuraghen

Nuraghen und Nuraghensiedlungen entstanden nicht auf einmal, sondern in einem Prozess, der sich über viele Epochen hinzog. Selbst zur Römerzeit wurden die Nuraghen noch benutzt und baulich verändert.

Die verschiedenen Farben symbolisieren die unterschiedlichen Entstehungsphasen einer typischen nuraghischen Siedlung und ihres Nuraghen.

Der Hauptturm (rot) entstand zwischen dem 16. und dem 14. Jahrhundert v. Chr.

Vom 14. bis zum 12. Jahrhundert v. Chr. wurde um den Hauptturm der orange gezeichnete Bereich errichtet: ein rechteckiger Komplex mit vier runden Ecktürmen, sowie drei freistehende Nuraghentürme. Die Türme enthielten Schießscharten, was auch die Bedeutung des Nuraghen als Verteidigungsfestung unterstreicht.

Zustand des Nuraghen ca. 1200 v. Chr.

Von 1200 bis 1000 v. Chr. wurde um den Nuraghenkomplex eine weitere Außenmauer gezogen (rosa). Dabei wurden auch der Haupteingang und die Schießscharten wieder verschlossen. Zugleich wurde ein neuer Eingang in 7m Höhe errichtet und in einigem Abstand zum Nuraghen ein weiterer Außenring gemauert. Dabei enstanden auch weitere Nuraghentürme. Zur gleichen Zeit entstanden die ersten Siedlungsgebäude rund um den Nuraghen.

Von 1000 v. Chr. bis 300 n. Chr. wurde die Siedlung ausgebaut (blau und gelb). Es entstanden immer mehr Gebäude rund um den Nuraghen, teilweise wurde der Nuraghe auch als Baustofflieferant für die Siedlungsgebäude verwendet

Aufbau eines Nuraghen

Die Nuraghentürme waren meist mehrgeschossig, wobei jedes Stockwerk sich spitz nach oben hin verjüngte. 

Querschitt durch einen Nuraghenhauptturm

Innerhalb der Stockwerke gab es nochmals Zwischenetagen aus Holz, mit deren Hilfe die oben angelegten Schießscharten erreicht werden konnten. Der Hauptturm hatte meist drei, die Außentürme zwei Geschosse.

Blick auf die vollständig intakte Kuppel des untersten Geschosses des Hauptturms des Nuraghen Arrubiu bei Orroli

Die Aussichtsplattform der Nuraghentürme wurden von speziell bearbeiteten Trägersteinen getragen, die auch heute noch gut erhalten sind.

Rings um die Spitze des Nuraghenturmes angeordnet, trugen diese Steine die ausladenden Aussichtsplattformen

Zweck des Nuraghen

Mancher Nuraghe diente lediglich der Verteidigung und als Lager für die Nahrungsvorräte. Aus der Tatsache, das keinerlei Gerätschaften des täglichen Lebens im Inneren mancher Nuraghen gefunden wurden (z.B. Su Nuraxi), schließen die Forscher, dass im Inneren des Nuraghen keine Menschen lebten. In anderen Nuraghen (z.B. Arrubio) lebte wahrscheinlich der Herrscher und sein Klan. 

Computermodell des Nuraghen Su Nuraxi im Ausbauzustand ca. 1000 v. Chr.

Im Falle eines Angriffs zogen die Menschen der Umgebung sich in die Festung zurück. Durch ihre Höhe dienten die Bauwerke auch als Aussichtsplattform. Meist befanden sich die Nuraghen an strategisch wichtigen Standorten.

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