Nach dem Frühstück richte ich meine Gleitschirmausrüstung. Heute morgen ist der Himmel makellos blau und alles deutet auf einen herrlichen Tag zum Fliegen hin. Bereits um 10:30 Uhr bin ich bei eXtreme. Um 11 Uhr fahren wir auf den Berg.
Oben ist bereits der Bär los. Man startet heute wieder vom südlichen Startplatz auf 1650 Metern. Der Wind ist zu schwach und kommt zum Teil auch von hinten – schlechte Startbedingungen also. Dementsprechend viele Piloten warten mit ausgelegtem Gleitschirm, bis es passt. Immer wenn eine thermische Ablösung den Berg hinaufströmt, gehen einige der Gleitschirme hinaus. Es gibt auch einige Startabbrüche, weil der Wind dreht, abflaut oder auch mal während des Startlaufs plötzlich von hinten kommt. So geht es mir beim ersten Versuch. Der zweite Startversuch gelingt. Ich sacke erst einmal durch, finde aber den Thermikbart an der gewohnten Stelle rechts vom Startplatz, direkt über dem Grat. Ich komme sehr tief an, habe schon Bedenken, ob ich nicht Richtung Tal abdrehen soll, da packt mich ein thermischer Aufwind und katapultiert mich 50 Meter nach oben. Damit komme ich über den Grat – das wichtigste ist geschafft. Jetzt arbeite ich mich nach oben: 1650, 1690, 1730, 1750 Meter; mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Ich brauche genügend Höhe über dem Startplatz, um diesen überqueren zu können und den Anschlussbart Richtung Gipfel auf 1950 Metern Höhe zu erwischen. Der erste Versuch schlägt fehl. Ich kann zwar den Startplatz überqueren, bin aber danach nicht hoch genug, um den Hügel mit dem verlässlichen Bart überfliegen zu können. Deshalb muss ich vor dem Startplatz vorbei nochmals zu meinem Bart am Grat fliegen. Die Arbeit beginnt von neuem. Diesmal schaffe ich es auf 1850 Meter. Ich starte einen neuen Versuch. Es klappt. Ich komme hoch genug an, und lasse mich von dem höheren Bart auf 2000 Meter hinauf tragen. Jetzt steht einem langen Flug nichts mehr im Wege. Ein türkiser Schirm ist auch schon hier oben und gemeinsam fliegen wir über zwei Stunden über dem Gipfelgrat des Babadağ hin und her.
Die Wolkenbasis ist irgendwo bei 2150 Meter. Hin und wieder bildet sich eine zerfetzte Thermikwolke über dem Gipfel. Wir steigen in turbulenter Thermik bis in die Wolke hinein.
Wenn die Wolke aber weg ist, hat man hervorragende Fernsicht bis Saklikent. Auch die Bucht von Patara, wo der Fluss Esen, der in der Bucht Schlucht von Saklikent entspringt, ins Meer fliesst, kann aus dieser Höhe noch erkennen.
Nach zwei Stunden ist mir ziemlich kalt und ich muss auf die Toilette. Als ich sehe, dass mein türkiser Freund Richtung Tal fliegt, höre ich auch auf zu kurbeln und fliege ebenfalls Richtung Ölüdeniz. Nach der Landung spreche ich ihn an. Er freut sich ebenso, mich kennen zu lernen, wie ich mich freue. Er kommt aus Israel und wir bedanken uns gegenseitig für diesen herrlichen Flug.
Nachdem ich zusammen gepackt habe, verabschiede ich mich vorsorglich schon einmal von meinen Freunden von eXtreme. Nur Selim ist gerade nicht anwesend. Er ist schon wieder auf den Weg nach oben. Ich kehre zum Wohnmobil zurück. Dort springe ich erst einmal ins Meer.
Als ich aus dem Wasser steige, sagt Jerry irgend etwas von einem Flugzeugabsturz. Er eilt zum Fernseher, der auf der Veranda unserer Campingplatzbesitzer steht und gerade die Nachrichten in türkisch zeigt. Was im Fernsehen gezeigt wird, begreife ich nur langsam: vier Flugzeuge haben das World Trade Center, das Pentagon und noch ein anderes Ziel getroffen. Ein weiteres Flugzeug soll noch in der Luft sein. Es ist unfassbar. Die Sendung ist in türkisch – ich verstehe nichts und muss mir den Sinn anhand der Bilder zusammen reimen. Ich schwinge mich auf den Roller und rase nach Ölüdeniz. Dort wird wohl ein Fernseher mit BBC-Nachrichten oder Euronews zu finden sein.
Gleich die erste Strandbar zeigt die Nachrichten in englischer Sprache. Die Realität ist schlimmer als es in einem Katastrophenfilm dargestellt werden könnte. Beide 400 Meter hohen Türme des World Trade Centers wurden von entführten Passagiermaschinen getroffen und sind in der Folge eingestürzt. Es wurden sogar Bilder von den einschlagenden Flugzeugen gesendet. Auch das Pentagon war Ziel einer von einem inneramerikanischem Flug entführten Maschine. Eine vierte Maschine ist in der Nähe von Pittsbourgh abgestürzt. Die Attentate erfolgten um 9 Uhr vormittags, amerikanischer Zeit. Um diese Zeit hat jeder seine Arbeit aufgenommen und die Anzahl der Opfer eines solchen Attentats ist besonders hoch. Zunächst ist von 10.000 Toten die Rede. Es ist eine Tragödie.
Den restlichen Tag verbringe ich vor dem Fernseher. Auf unserem Campingplatz wird extra für uns auf einen deutschen Sender umgeschaltet, so dass wir die Nachrichten und die Sondersendungen auch in deutsch sehen können. Ich empfange mit meiner Satellitenanlage nichts. Das fünfte Flugzeug stellt sich als Falschmeldung heraus. Die Zahl der geschätzten Opfer wird auf ca. 20.000 erhöht.
Am Abend geben unsere Freunde uns zu ehren noch einmal ein Fischessen. So fröhlich wie in den letzten Tagen ist es heute Abend nicht. Das Gespräch dreht sich immer wieder um den Wahnsinn, der heute geschehen ist. Wie wird das wohl weiter gehen?
Eine Antwort auf „Dienstag, 11. September 2001“